Seit Jahrhunderten suchen Wissenschaftler nach Wegen, um Erdbeben vorherzusagen. Trotz vieler Fortschritte in der Seismologie bleibt die genaue Vorhersage von Erdbeben eine der größten Herausforderungen. Doch könnte Künstliche Intelligenz (KI) nun der Schlüssel zur Lösung dieses Rätsels sein? Forscher auf der ganzen Welt setzen zunehmend auf maschinelles Lernen und andere KI-Techniken, um die Vorhersage von Erdbeben zu verbessern. Doch wie weit sind diese Entwicklungen tatsächlich vorangeschritten?
Obwohl die Theorie der Plattentektonik seit den 1960er-Jahren allgemein anerkannt ist, ist unser Verständnis von Erdbeben nach wie vor begrenzt. Traditionell wird angenommen, dass sich Spannungen entlang von Verwerfungen aufbauen und plötzlich freigesetzt werden, wenn die Spannung eine kritische Schwelle überschreitet. Diese plötzliche Freisetzung verursacht Erdbeben. Doch die genaue Vorhersage, wann und wo diese Spannungen freigesetzt werden, bleibt schwierig.
Ein Beispiel für die Herausforderungen bei der Erdbebenvorhersage ist die südliche San-Andreas-Verwerfung in Kalifornien. Das letzte große Erdbeben in dieser Region ereignete sich 1857. Basierend auf der durchschnittlichen Wiederholungszeit von 100 bis 180 Jahren wäre ein weiteres großes Beben längst überfällig. Doch die große Variabilität in den Wiederholungsintervallen macht solche Vorhersagen unzuverlässig.
In den 1980er-Jahren installierten Forscher Seismometer entlang des Parkfield-Abschnitts der San-Andreas-Verwerfung, wo sich sechs Erdbeben in ungewöhnlich regelmäßigen Abständen ereignet hatten. Die US Geological Survey (USGS) sagte voraus, dass das nächste Erdbeben vor 1993 stattfinden würde. Doch das Beben ereignete sich erst 2004, was die Unzuverlässigkeit solcher Vorhersagen verdeutlicht.
Auch in anderen Regionen, wie Hawaii, wurden regelmäßige Intervalle beobachtet, doch dies sind Ausnahmen. In den meisten Gebieten können die Intervalle Hunderte von Jahren betragen, mit ebenso großen Schwankungen. Diese Methode ist daher alles andere als eine exakte Wissenschaft.
In den frühen 2000er-Jahren machten Seismologen zwei Entdeckungen, die neue Hoffnung brachten. Zunächst entdeckten sie im Südwesten Japans ein seltsames Signal mit geringer Amplitude, das von Stunden bis Wochen andauerte und in regelmäßigen Abständen auftrat. Sie nannten es „tektonischen Tremor“.
Gleichzeitig entdeckten Geodäten in der Cascadia-Subduktionszone vor der nordpazifischen US-Küste, dass ein Teil der Kruste zeitweise langsam in die Gegenrichtung wanderte. Diese „Slow Slip Events“ verursachen das gleiche Signal wie in Japan und wurden als neue Art von Erdbeben erkannt.
Wie bei regulären Erdbeben kommt es bei diesen „langsamen“ Beben zu einer Umverteilung von Spannungen in der Kruste, allerdings über einen längeren Zeitraum. In einigen Gebieten treten sie regelmäßig auf, in anderen nur vereinzelt. Diese Phasen können das Risiko normaler Erdbeben erhöhen, besonders in Subduktionszonen.
Seismologen setzen nun zunehmend maschinelles Lernen ein, um verborgene Strukturen und kausale Zusammenhänge in seismischen Daten aufzudecken. Mostafa Mousavi und Gregory Beroza von der Stanford University untersuchen, wie maschinelles Lernen auf seismische Daten angewendet werden kann, um die Stärke eines Erdbebens vorherzusagen. Dies könnte Frühwarnsysteme erheblich verbessern.
Auch Brendan Meade von der Harvard University nutzt neuronale Netze, um die Positionen von Nachbeben vorherzusagen. Zachary Ross vom Caltech verwendet Deep Learning, um seismische Wellen aus starkem Hintergrundrauschen herauszufiltern, wodurch mehr Erdbeben entdeckt werden können.
Paul Johnson vom Los Alamos National Laboratory kombiniert maschinelles Lernen mit Laborversuchen. In einem Experiment zeigte sein Team, dass maschinelles Lernen mit bemerkenswerter Genauigkeit vorhersagen kann, wann eine künstliche Verwerfung zu beben beginnt. Diese Erkenntnisse wendeten sie erfolgreich auf seismische Daten aus Cascadia an.
Während sich einige Forscher auf modernste Technologien stützen, untersuchen andere historische Berichte über das Verhalten von Tieren vor Erdbeben. Martin Wikelski, Forschungsdirektor am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Konstanz, und sein Team beobachteten Hunde, Kühe und Schafe in Mittelitalien und stellten fest, dass diese Tiere vor Erdbeben ungewöhnlich unruhig wurden.
Elektromagnetische Felder, die durch die Bewegung von Gesteinsschichten entstehen, könnten ebenfalls als Vorwarnsignal dienen. Forscher setzen auf die Kombination von KI, elektromagnetischen Sensoren und Tierbeobachtungen, um die Erdbebenvorhersage zu revolutionieren.
Die Vorhersage von Erdbeben bleibt eine der größten Herausforderungen in der Seismologie. Doch die Fortschritte in der Anwendung von Künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen bieten neue Hoffnung. Während herkömmliche Methoden oft unzuverlässig sind, könnten neue Technologien und Ansätze die Vorhersagegenauigkeit erheblich verbessern und dazu beitragen, Leben zu retten und Schäden zu verringern.
Obwohl die Forschung noch in den Kinderschuhen steckt, zeigen die bisherigen Ergebnisse, dass die Kombination von verschiedenen Methoden und Techniken das Potenzial hat, die Erdbebenvorhersage zu revolutionieren. Die Wissenschaft steht an der Schwelle zu einer neuen Ära, in der Erdbeben kein unberechenbares Schicksal mehr sind, sondern ein lösbares wissenschaftliches Problem.
- https://t3n.de/news/naturkastrophen-bringt-ki-die-erdbeben-vorhersagen-endlich-voran-1634916/
- https://www.mdr.de/wissen/erdbeben-vorhersage-in-china-mit-ki-100.html
- https://www.nzz.ch/wissenschaft/erdbebenvorhersage-durch-ki-ld.1783927
- https://scienceblog.at/erdbeben-vorhersage-ki
- https://www.techopedia.com/de/kann-ki-naturkatastrophen-vorhersagen
- https://www.spektrum.de/news/ki-sagt-nachbeben-voraus-und-wie-stark-sie-sein-werden/2189643
- https://www.deutschlandfunk.de/20-jahre-nach-der-katastrophe-istanbul-und-die-100.html
- https://www.heisegroup.de/presse/MIT-Technology-Review-Naturkatastrophen-vorhersagen-9725374.html
- https://t3n.de/