Die Integration von Künstlicher Intelligenz (KI) in den Bewerbungs- und Recruitingprozess hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Unternehmen setzen zunehmend auf maschinelle Systeme, um Bewerbungen effizienter zu verwalten und die besten Talente zu identifizieren. Doch wie genau verändert KI die Art und Weise, wie Bewerbungen betrachtet und bearbeitet werden? Welche Vorteile bringt sie mit sich und welche Herausforderungen müssen bewältigt werden? Dieser Artikel beleuchtet die verschiedenen Aspekte der KI im Recruiting und bietet einen umfassenden Überblick über die aktuellen Entwicklungen und zukünftigen Möglichkeiten.
In vielen Unternehmen werden Bewerbungen heute maschinell vorgefiltert. Dies geschieht häufig durch sogenanntes CV-Parsing, bei dem Lebensläufe automatisch ausgelesen und analysiert werden. Dabei werden relevante Informationen wie Berufserfahrung, Ausbildung und Fähigkeiten extrahiert und in eine Datenbank übertragen. Diese Technologie ermöglicht es Unternehmen, große Mengen an Bewerbungen schnell und effizient zu verarbeiten.
Stefan Gerth, Gründer von „Die Bewerbungsschreiber“, weist darauf hin, dass viele Bewerber nicht wissen, dass ihre Lebensläufe automatisch ausgelesen werden. Insbesondere zweispaltige Lebensläufe und das Fehlen relevanter Keywords können zu Problemen führen, da diese von der Software nicht immer korrekt erfasst werden. Bewerber sollten daher darauf achten, ihre Unterlagen sowohl für menschliche Leser als auch für Maschinen zu optimieren.
Der nächste Schritt im automatischen Bewerbungsprozess ist das Ranking und Matching der Bewerber. Systeme des maschinellen Lernens werden eingesetzt, um Muster zu erkennen und die besten Kandidaten für eine ausgeschriebene Stelle zu identifizieren. Joachim Diercks, Geschäftsführer der Cyquest GmbH, hofft, dass der Recruiting-Prozess durch den Einsatz von KI in Zukunft qualitativ besser wird. Allerdings warnt er auch, dass die Systeme heute noch nicht besonders gut funktionieren und es zu Verzerrungen in den Trainingsdaten kommen kann.
Ein Beispiel für ein solches System ist das Tool „Cvlizer“ von Joinvision, einem der Marktführer im CV-Parsing im deutschsprachigen Raum. Dieses System analysiert Lebensläufe und erstellt Visualisierungen wie die „Karriereleiter“. Allerdings können ungewöhnliche Lebensläufe die Software in Schwierigkeiten bringen, wie der Fall einer Journalistin zeigt, deren berufliche Stationen falsch zugeordnet wurden.
Um den Erfolg im maschinellen Auswertungsprozess zu erhöhen, empfiehlt es sich, relevante Stichworte in die Bewerbung einzufügen. Bewerbungsberater Stefan Gerth rät dazu, Keywords öfter zu verwenden, da dies das Matching beeinflussen kann. Allerdings sollte darauf geachtet werden, dass die Keywords in einem sinnvollen Zusammenhang stehen und die Fähigkeiten des Bewerbers authentisch darstellen.
Stefan Knichel, Marketing Manager bei Textkernel, betont, dass kreative Lebensläufe mit grafischen Elementen die Systeme durcheinanderbringen können. Textkernel, ein weiterer Platzhirsch im deutschsprachigen CV-Parsing, nutzt maschinelles Lernen, um Lebensläufe zu analysieren und passende Kandidaten zu identifizieren. Henning Rode, Forscher bei Textkernel, erklärt, dass die Transparenz und Fairness der Systeme gewährleistet sein muss, um Verzerrungen zu vermeiden.
Cybersecurity-Forscherinnen Anahita Samadi und Shirin Nilizade von der University of Texas haben gezeigt, dass Ranking-Algorithmen durch gezielte Techniken überlistet werden können. Sie reichern Bewerbungen mit entscheidenden Keywords an, um die Position im Ranking zu verbessern. Allerdings sank der Effekt, wenn zu viele Keywords ergänzt wurden, da der Algorithmus dies „bestraft“.
In einem zweiten Test trainierten die Forscherinnen ein neuronales Netz mit Lebensläufen und den zugehörigen Bewertungen und passten Lebensläufe entsprechend an. Auch dieser Angriff führte zu signifikant höheren Rankings. Systeme, die solche Angriffe mittels maschinellen Lernens verteidigen, haben bereits begonnen, sich weiterzuentwickeln. Stefan Knichel erklärt, dass wilde Ansammlungen von Stichworten oder die gesamte Jobbeschreibung im Lebenslauf automatisiert entdeckt werden können.
Einige Bewerber setzen auf Techniken, die aus der Suchmaschinenoptimierung (SEO) bekannt sind, um ihre Chancen zu verbessern. Dazu gehört das Einfügen von Keywords in weißer Schrift auf weißem Untergrund oder als Metadaten im Dokument. Auch hier gilt: Nur relevante und wahrheitsgemäße Informationen sollten verwendet werden, da die Systeme in der Lage sind, den Kontext der Keywords zu erkennen.
Die Nutzung von KI im Recruiting führt auch zu ungewöhnlichen Situationen bei Vorstellungsgesprächen. Manche Unternehmen setzen auf KI-basierte Interview-Assistenten, die Mimik und Körpersprache der Kandidaten analysieren. Diese Technologie steht jedoch noch am Anfang und kann menschliche Interaktion nicht vollständig ersetzen.
Ein weiteres Einsatzgebiet von KI im Recruiting ist die Nutzung von Big Data, um Mitarbeitern die nächsten Karriereschritte zu ermöglichen. KI-Systeme können auf Basis von Lebensläufen, Qualifikationen und demografischen Daten voraussagen, welche Positionen für einen Mitarbeiter geeignet sind und welche Weiterbildungsmöglichkeiten sich anbieten.
KI-Systeme können nicht nur bei der Auswahl von Bewerbern helfen, sondern auch passende Stellen für die Bewerber finden. Dies geschieht durch die Analyse von Stellenanzeigen und den Abgleich mit den Fähigkeiten und Erfahrungen des Bewerbers. So können auch passive Kandidaten identifiziert werden, die gut zum Unternehmen passen könnten.
Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Bewerbungs- und Recruitingprozess bietet viele Chancen, aber auch Herausforderungen. Während maschinelles Lernen und CV-Parsing die Effizienz und Objektivität im Recruiting erhöhen können, müssen Verzerrungen und Intransparenz in den Systemen vermieden werden. Bewerber sollten ihre Unterlagen sowohl für menschliche Leser als auch für Maschinen optimieren und relevante Keywords verwenden. Unternehmen sollten darauf achten, ihre KI-Systeme kontinuierlich zu überwachen und anzupassen, um faire und objektive Entscheidungen zu gewährleisten.