Im Jahr 2013 galt die Erdbebenvorhersage noch als ein Thema, das nicht ernst genommen wurde. Damals wurde es oft mit der Jagd nach dem Monster von Loch Ness verglichen. Doch in den letzten Jahren hat sich viel verändert. Bedeutende Fortschritte in der Seismologie und der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) haben die Perspektiven verbessert.
„Das Projekt Tectonic, an dem ich beteiligt war, nutzte maschinelles Lernen, um Erdbebenvorhersagen zu verbessern,“ berichtete ein Forscher. Der Europäische Forschungsrat unterstützte das Projekt mit 3,4 Millionen Euro über vier Jahre hinweg.
Heute beschäftigen sich viele Wissenschaftler ernsthaft mit der Erdbebenprognose und erzielen Fortschritte in ihren jeweiligen Teilbereichen. Eine Reihe von Studien untersucht langsame Beben entlang von Verwerfungslinien, seismisches Rauschen, das Verhalten von Tieren oder elektromagnetische Wellen, um potenzielle Vorwarnhinweise zu finden.
Seit den 1960er Jahren wissen wir, dass die Plattentektonik eine wesentliche Rolle bei Erdbeben spielt. Dennoch beschränkt sich unser Wissen oft darauf, dass sich Spannungen bis zu einer kritischen Schwelle aufbauen und dann plötzlich entladen. Die Wasserinjektionen bei der Öl- und Gasförderung haben in den letzten Jahren zu einem Anstieg der tektonischen Aktivität geführt, insbesondere im Zentrum der USA. Doch generell tappen wir oft im Dunkeln.
Lange Zeit konnten wir nur schätzen, wie oft Erdbeben in einer bestimmten Region auftreten. Beispielsweise ereignete sich das letzte große Erdbeben entlang der südlichen San-Andreas-Verwerfung in Kalifornien im Jahr 1857. Die durchschnittliche Zeitspanne zwischen großen Beben liegt dort zwischen 100 und 180 Jahren. Nach einer einfachen Berechnung wäre das nächste große Beben also überfällig. Doch diese Schätzungen sind wenig aussagekräftig, da die Intervalle stark variieren können.
Ab 1985 installierte die US Geological Survey (USGS) Seismometer entlang des Parkfield-Abschnitts der San-Andreas-Verwerfung. Dort hatten sich sechs Erdbeben in ungewöhnlich regelmäßigen Intervallen ereignet. Man erwartete daher ein weiteres Beben vor 1993, das jedoch erst 2004 eintrat. Ähnliche Beobachtungen wurden in Hawaii gemacht, doch dies sind Ausnahmen und keine Regel.
„Physikalisch gesehen handelt es sich um ein chaotisches System,“ erklärt Tom Heaton, Geophysiker am Caltech. „Es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass sich die Erde geordnet und deterministisch verhält, aber ohne genaue Kenntnisse der unterirdischen Vorgänge ist es unmöglich, diese Ordnung zu erahnen.“
In den frühen 2000er Jahren machten Seismologen und Geodäten zwei bedeutende Entdeckungen. Sie fanden ein seltsames Signal mit geringer Amplitude im Südwesten Japans, das sie „tektonischen Tremor“ nannten. Gleichzeitig entdeckten Geodäten in der Cascadia-Subduktionszone vor der nordpazifischen US-Küste sogenannte „Slow Slip Events“, bei denen ein Teil der Kruste langsam in die Gegenrichtung wandert.
Diese „langsamen“ Beben führen zu einer Umverteilung von Spannungen in der Kruste, die Sekunden bis Jahre dauern kann. Diese Spannungen können das Risiko normaler Erdbeben erhöhen, insbesondere in Subduktionszonen.
Seit der Entdeckung langsamer Beben fanden Wissenschaftler heraus, dass fast jedem großen Erdbeben ein langsames Beben vorausgeht. Ein Beispiel ist das Tohoku-Oki-Erdbeben der Stärke 9 im Jahr 2011 in Japan, bei dem zwei langsame Beben vorausgingen. Doch es gibt auch Ausnahmen, wie das Erdbeben in Sumatra 2004, das keinen erkennbaren Vorläufer hatte.
„Es könnte sein, dass in den Stunden vor einem großen Beben ein besonderer Prozess entlang der Verwerfung stattfindet,“ sagt Quentin Bletery vom Forschungslabor Géoazur in Südfrankreich.
Forschungen zur Anwendung von maschinellem Lernen in der Seismologie haben begonnen, vielversprechende Ergebnisse zu liefern. Mostafa Mousavi und Gregory Beroza von der Stanford University untersuchten den Einsatz von maschinellem Lernen auf seismische Daten, um die Stärke von Erdbeben vorherzusagen. Brendan Meade von der Harvard University nutzte neuronale Netze, um die Positionen von Nachbeben vorherzusagen.
Paul Johnson vom Los Alamos National Laboratory kombinierte maschinelles Lernen mit Laborversuchen, um künstliche Verwerfungen zu simulieren und die Ergebnisse auf seismische Daten anzuwenden.
Während einige Forscher auf modernste Technologien setzen, untersuchen andere das Verhalten von Tieren vor Erdbeben. Historische Berichte und neuere Studien zeigen, dass Tiere wie Ratten, Schlangen und Welse vor Erdbeben ungewöhnliches Verhalten zeigen. Martin Wikelski vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie hat mit seinem Team Hunde, Kühe und Schafe in Italien mit Bewegungssensoren ausgestattet. Sie stellten fest, dass die Tiere bis zu 20 Stunden vor einem Erdbeben ein auffällig aufgeregtes Verhalten zeigten.
Ein weiteres vielversprechendes Gebiet ist die Untersuchung elektromagnetischer Felder, die durch Reibung bei der Bewegung bestimmter Gesteinsschichten entstehen. Diese Felder könnten als zusätzliche Warnsignale dienen.
„Die Kombination von künstlicher Intelligenz, elektromagnetischen Sensoren und Tierbeobachtungen könnte die Erdbebenvorhersage revolutionieren,“ erklärt ein Forscher.
Die Forschung zur Erdbebenvorhersage hat in den letzten Jahren bedeutende Fortschritte gemacht, insbesondere durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen. Obwohl es noch viele Herausforderungen gibt, bieten diese neuen Technologien vielversprechende Ansätze, um die Vorhersagegenauigkeit zu verbessern und Menschenleben zu retten. Die Kombination verschiedener Methoden, von seismischen Datenanalysen bis hin zu Tierbeobachtungen, könnte in Zukunft eine Schlüsselrolle spielen.
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