KI im Katastrophenschutz: Vom Datenchaos zur effizienten Krisenbewältigung

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July 26, 2024

Überschwemmungen, Dürren, Erdbeben: Wie KI im Katastrophenfall einen besseren Überblick liefern kann

Katastrophenhelfer hatten früher oftmals zu wenig Informationen über die Lage in den betroffenen Gebieten. Heute ist das Gegenteil der Fall: Es gibt eher zu viele, aber bruchstückhafte Einzelinformationen. Künstliche Intelligenz (KI) soll Ordnung in die Datenflut bringen. Was die Verfahren schon können und wo es noch hapert.

Von der Datenflut zum informativen Lagebild

Die Ironie der Geschichte: Nur fünf Monate vor der Ahrtal-Flut im Juli 2021 war das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Projekt AIFER, kurz für Artificial Intelligence for Emergency Response, gestartet. „Ziel des Projekts war, Modelle zur schnellen Auswertung von satelliten- und nutzergenerierten Internetdaten zu erstellen“, sagt Marc Wieland vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Die aus den Modellen erstellten Karten sollen Behörden und Organisationen des Katastrophenschutzes in Zukunft möglichst automatisiert zur Verfügung stehen. Denn während die Katastrophenhelfer früher oftmals zu wenig Informationen über die Lage in den betroffenen Gebieten hatten, stehen mittlerweile oftmals eher zu viele, aber bruchstückhafte Einzelinformationen zur Verfügung.

So konnte das Zentrum für satellitengestützte Kriseninformation (ZKI) am DLR – einer der Projektpartner von AIFER – einen Tag nach der Flutkatastrophe am 15. Juli 2021 Luftaufnahmen der überschwemmten Gebiete aus Flugzeugen, Hubschraubern und Drohnen machen. Diese wurden erstmals noch während des Fluges vorverarbeitet – ein unerwarteter Testlauf. Üblicherweise findet die Bildverarbeitung erst am Boden in einem Rechenzentrum statt, was eine Zeitverzögerung von bis zu einem Tag bedeutet hätte.

Aufbereitung der Daten ist entscheidend

Natürlich ist es mit Daten alleine nicht getan. Entscheidend ist, wie sie aufbereitet werden, damit Katastrophenschützer auch die richtigen Entscheidungen treffen können. Im AIFER-Projekt seien deshalb von Anfang die Endanwender Projektpartner gewesen, sagt Marc Wieland. Endanwender sind in diesem Fall das Technische Hilfswerk und das Bayerische Rote Kreuz.

Ende April 2023 wurden die bis dahin in AIFER entwickelten Ansätze in einer Übung im österreichischen Bundesland Salzburg getestet. Die beteiligten Katastrophenschutzpartner bekamen simulierte Daten einer Überschwemmung in der Region ins Lagezentrum eingespielt, um hieraus Entscheidungen über Hilfsmaßnahmen abzuleiten. Tischdisplays zeigten, welche Zonen aktuell besonders betroffen waren, wo dringend mehr Rettungskräfte benötigt wurden, aber auch, wo der Einsatz mittlerweile zu gefährlich wurde.

AIFER, im März 2023 abgeschlossen, sei aber noch ein Forschungsprojekt gewesen, sagt Marc Wieland vom Deutschen Fernerkundungsdatenzentrum des DLR. Es habe derzeit ein Technology Readiness Level von 4. Mit dieser ursprünglich von der NASA entwickelten Skala kann eingeschätzt werden, wie weit eine Innovation gekommen ist. Sie reicht von 1 für die Grundlagenforschung bis 9 für reguläre Einsatzbereitschaft – 4 bedeutet, dass die Technologie im Labor erfolgreich getestet wurde.

Neuronale Netze erstellen neuartige Karten

Die in AIFER eingesetzten Technologien werden unterdessen auch von anderen Forschungsgruppen verwendet, um neue Lösungen für den Katastrophenschutz zu finden: Einer Gruppe der Universität der Bundeswehr München ist es kürzlich gelungen, aus Satellitenaufnahmen mit Synthetic Aperture Radar (SAR) eine dreidimensionale Geländekarte zu gewinnen. Das gelang den Forschenden mithilfe eines neuronalen Netzes. Die so gewonnenen neuartigen Karten könnten etwa helfen, bei Erdbeben Schäden an Gebäuden schneller zu identifizieren. Dasselbe Ziel soll auch die Software xView2 erreichen, die von Forschern unter anderem der Universität Berkeley und von Microsoft entwickelt wurde. xView2 identifiziert eingestürzte Gebäude durch semantische Segmentierung.

Digitaler Zwilling für Flüsse

Das Konzept des digitalen Zwillings stammt eigentlich aus der Industrie. Dabei wird etwa eine Fabrik mit all ihren Maschinen und Fertigungsstraßen digital nachgebildet. Die Maschinen sind mit Sensoren ausgestattet, die unablässig Daten über den Produktionsablauf senden. Der digitale Zwilling soll kritische Abweichungen vom idealen Produktionsablauf entdecken, der ihm einprogrammiert worden ist.

Mit dem Digital Twin Earth (DTE) übertragen die Forschenden dieses Konzept auf regionale Wasserkreisläufe. Sie wollen Flüsse mit bislang nicht gekannter Genauigkeit modellieren, um zu schnell steigende Pegelstände frühzeitig zu entdecken. Oder auch einen zu geringen Wasserzulauf aus umliegenden Bergen, der nicht den durchschnittlichen Werten aus vielen Jahren der Beobachtung entspricht. Auch hier werden Satellitendaten, unter anderem von Sentinel-1 und Sentinel-3, ausgewertet. „Die Sentinel-Satelliten sind schon sehr gut“, sagt Wolfgang Wagner von der TU Wien. Deren Daten würden im Digital Twin Earth nun erstmals mit einem hydrologischen Modell, das auf physikalischen Gesetzmäßigkeiten beruht, verbunden.

Verarbeitet werden verschiedenste Satellitendaten: Bodenfeuchte, Verdunstung, Niederschlag, Schneebedeckung, Wasserentnahme. Die Bodenfeuchte wird aus der Rückstreuung von Wärmestrahlung von der Oberfläche berechnet, die Sentinel-1 erfasst, wobei das Modell die Rückstreuung von Pflanzen und Bäumen herausrechnet. Der Niederschlag wird sowohl aus Messstationen am Boden als auch aus Satellitendaten bestimmt. Die Daten von Sentinel-3 wiederum liefern das Maß der Verdunstung; die Schneebedeckung in den Bergen stammt aus Sentinel-1-Messungen. Auf die Wasserentnahme – die Bewässerung von Äckern – lässt sich aus Veränderungen der Bodenfeuchte schließen.

Die räumliche Auflösung der verschiedenen Messdaten liegt zwischen einem und 25 Kilometern. Mit dem Digital Twin Earth sei es bereits gelungen, die verheerende Dürre in der Po-Ebene von 2022 nachzubilden, so Wagner. Damals verdorrte ein großer Teil der Ernte im wichtigsten Reisanbaugebiet Europas. Ähnlich wie beim Projekt AIFER werden die Daten des Digital Twin Earth visuell aufbereitet. In einem Dashboard können Behörden verfolgen, wie stark bestimmte Größen um den unbedenklichen Richtwert schwanken, dass etwa der Niederschlag um 77 Millimeter vom jahreszeitlichen Durchschnittswert abweicht oder die Bodenfeuchte ganz leicht unter diesem liegt.

Fazit und Ausblick

Künstliche Intelligenz und moderne Technologien bieten beeindruckende Möglichkeiten, um Naturkatastrophen besser vorherzusagen und zu bewältigen. Projekte wie AIFER und der Digital Twin Earth zeigen, wie durch die Integration von Satellitendaten, neuronalen Netzen und hydrologischen Modellen ein umfassendes und präzises Lagebild erstellt werden kann. Dies ermöglicht es den Katastrophenschützern, schneller und gezielter zu reagieren, was potenziell viele Leben retten und Schäden minimieren kann.

Doch trotz aller Fortschritte bleibt viel zu tun. Die Technologien müssen weiterentwickelt und ihre Genauigkeit verbessert werden. Zudem müssen die Verantwortlichen in den betroffenen Gebieten geschult und die Systeme in die bestehenden Strukturen integriert werden. Bis digitale Zwillinge und KI-basierte Vorhersagemodelle zum Standard im Umgang mit Naturkatastrophen werden, wird es noch einige Jahre dauern. Spätestens dann dürfte es aber für Behörden schwer werden, zu erklären, warum sie nicht rechtzeitig vor einem Unheil gewarnt haben.

Bibliography - https://t3n.de/news/ueberschwemmungen-duerren-erdbeben-so-soll-ki-einen-besseren-ueberblick-im-katastrophenfall-liefern-1637077/ - https://www.finanznachrichten.de/nachrichten-2024-07/62822329-ueberschwemmungen-duerren-erdbeben-so-soll-ki-einen-besseren-ueberblick-im-katastrophenfall-liefern-397.htm - https://t3n.de/ - https://www.tagesschau.de/wissen/klima/ki-hochwasser-100.html - https://www.bmz.de/de/themen/katastrophenrisikomanagement/katastrophenrisikomanagement-hintergrund - https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/themen/bevoelkerungsschutz/BMI24017-umsetzungsplan-resilienz.pdf?__blob=publicationFile&v=3 - https://www.bundestag.de/resource/blob/1010522/786d9d26a0e613137d988df472aec8f0/20_11890.pdf - https://www.swr.de/wissen/ki-modell-zur-vorhersage-von-hochwasser-in-fluessen-100.html - https://www.ingenieur.de/technik/fachbereiche/umwelt/wie-satelliten-den-klimawandel-im-detail-erfassen/
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