In einem wegweisenden Durchbruch in der medizinischen Forschung ist es Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gelungen, nach sechzig Jahren des Stillstands neue Antibiotika zu identifizieren. Diese Entdeckung könnte das Potenzial haben, die bedrohliche Zunahme von Antibiotikaresistenzen weltweit zu bekämpfen.
Antibiotika zählen zu den wichtigsten Errungenschaften in der Geschichte der Medizin. Sie ermöglichen die Behandlung bakterieller Infektionen, die noch vor hundert Jahren oft tödlich endeten. Doch der übermäßige und teilweise unkontrollierte Einsatz dieser Medikamente hat im Laufe der Zeit dazu geführt, dass viele Bakterienstämme Resistenzen entwickelt haben. Dieses Phänomen stellt die globale Gesundheitsversorgung vor eine ernsthafte Herausforderung.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Antibiotikaresistenzen als eines der größten Gesundheitsprobleme unserer Zeit eingestuft. Laut einer Studie waren im Jahr 2019 fast 1,27 Millionen Todesfälle auf Infektionen mit multiresistenten Erregern zurückzuführen. Diese Entwicklung macht die Suche nach neuen Wirkstoffen dringlicher denn je.
Die Schwierigkeit, neue Antibiotikaklassen zu entwickeln, liegt unter anderem in der komplexen Biochemie der Bakterien und der hohen Kosten für Forschung und Entwicklung neuer Medikamente. Alternative Behandlungsmethoden wie die Phagentherapie befinden sich zwar in der Entwicklung, sind aber noch nicht breit einsetzbar.
Die jüngsten Fortschritte in der künstlichen Intelligenz (KI) haben jedoch neue Möglichkeiten eröffnet. Forscherteams haben KI-Modelle genutzt, um die chemischen Strukturen von Molekülen zu analysieren und deren potenzielle Wirksamkeit als Antibiotika vorherzusagen. Ein Team des Massachusetts Institute of Technology (MIT) hat ein Deep-Learning-Modell entwickelt, das die Eigenschaften neuer Verbindungen simuliert und vorhersagt.
Durch diese Technologie konnten die Forschenden transparentere Modelle erschaffen, die es ihnen ermöglichen, die Entscheidungsfindung der KI nachzuvollziehen. Dies ist ein entscheidender Schritt, da die sogenannten "Blackbox"-Modelle, bei denen unklar ist, wie die KI zu ihren Ergebnissen kommt, in der medizinischen Forschung ein Hindernis darstellen.
Die Anwendung solcher KI-Modelle auf die Antibiotika-Forschung hat zur Identifizierung einer neuen Klasse von Wirkstoffen geführt, die gegen multiresistente Staphylococcus aureus (MRSA)-Bakterien wirksam sind. MRSA-Infektionen können von leichten Hauterkrankungen bis hin zu schweren, lebensbedrohlichen Zuständen wie Lungenentzündung und Blutvergiftung führen.
Die Forschenden des MIT trainierten ihr Modell mit Daten von rund 39.000 Verbindungen und deren Wirksamkeit gegen MRSA. Nach der Analyse von etwa 12 Millionen im Handel erhältlichen Verbindungen konnten sie zwei neue Antibiotikakandidaten identifizieren, die in Laborversuchen mit Mäusen eine signifikante Reduzierung der MRSA-Population bewirkten.
Ebenso bemerkenswert ist die Entdeckung eines neuartigen antibiotischen Wirkstoffs namens Epifadin an der Universität Tübingen. Epifadin wird von bestimmten Bakterien in der menschlichen Nase produziert und zeigte eine außergewöhnliche Wirksamkeit gegen MRSA. Dieser Wirkstoff könnte eine neue Wirkstoffklasse begründen und zur Entwicklung innovativer Antibiotika beitragen.
Die Forschung zu Epifadin enthüllte, dass der Wirkstoff durch die Zerstörung der Zellmembran feindlicher Bakterien wirkt, was zu deren Tod führt. Die chemische Struktur von Epifadin ist jedoch instabil, was bedeutet, dass der Wirkstoff nur für kurze Zeit aktiv ist und daher vor allem lokal wirkt. Dies könnte den Vorteil haben, dass Epifadin weniger wahrscheinlich die nützlichen Bakterien des Mikrobioms schädigt, wie es bei der Behandlung mit herkömmlichen Breitbandantibiotika der Fall ist.
Die Entdeckung von Epifadin und den durch KI-Modelle identifizierten Wirkstoffen ist ein bedeutender Fortschritt im Kampf gegen Antibiotikaresistenzen. Es zeigt, wie die Kombination aus traditioneller mikrobiologischer Forschung und neuesten Technologien neue Türen öffnen kann.
Die weitere Forschung wird darauf abzielen, die Struktur und Wirkung von Epifadin detaillierter zu verstehen und stabile Derivate zu synthetisieren, die für die medizinische Anwendung geeignet sind. Ähnliche Bemühungen werden unternommen, um die vielversprechenden Kandidaten, die durch KI-Modelle identifiziert wurden, weiter zu entwickeln und zu testen.
Diese Entwicklungen könnten in den kommenden Jahren zu einer neuen Generation von Antibiotika führen, die das Potenzial haben, lebensrettend zu sein und die globalen Gesundheitssysteme zu stärken. Der Kampf gegen multiresistente Keime wird damit auf eine neue Ebene gehoben, und die Hoffnung auf effektive neue Behandlungsoptionen wächst.